Lichtwolf Nr. 52 („Bitte / danke“) (E-Book)

Höflichkeit und Dankbarkeit, Schenken und Schulden, Benehmen und Vergeben sowie eine Extraportion Politik, Kant und Miesmuscheln auf 100 Seiten.

3,99 

Beschreibung

Die allgemeinen Umgangsformen drücken sich alltäglich einerseits im Grüßen aus, andererseits im Bitte/danke-sagen. Ihre Selbstverständlichkeit ist bemerkenswert, denn selbst wer unhöflich ist, bricht die Regeln nur, ohne sie grundsätzlich infrage zu stellen – wozu ausgewählte Nietzsche-Aphorismen als Handreichung empfohlen seien. Die Sprechakte des Bittens und Dankens sind wunderliche Ausnahmen, wie Marc Hieronimus erläutert, und ganz und gar nicht unproblematisch. Darum geht es in dieser Ausgabe auch ums Schenken und Schulden, Benehmen und Vergeben. Max Frisch etwa plagte sich, nachdem ein gönnerhafter Freund ihm das Studium finanziert hatte, mit einer lebenslangen „Dankesschuld“ herum, die Wolfgang Schröder fragen lässt, wie man für etwas dankt, was man weder erwünscht noch erbeten hat. Der Erzpessimist Cioran sah es als sinnlos an, im Leben um irgendwas zu bitten oder für irgendwas dankbar zu sein. Allerdings hatte er eine idyllische Kindheit in seinem rustikal-rumänischen Geburtsort, in den uns Michael Helming mitnimmt.

Behandelt wird auch die Frage, was Benimmregeln zugrunde liegt. Wie sich die junge Bourgeoisie ihre Umgangsformen beim Adel abguckte, aber von dessen Menschenbild angewidert war, beschreibt Georg Frost an der Debatte um Lord Chesterfields Briefe. Ganz anders die Adab-Literatur der islamischen Welt, die genreübergreifend und mäandernd-erzählend Artigkeit lehrt. Sie fasst das Leben als Geschichte auf, für deren Handlung jeder selbst verantwortlich ist. Was das mit Novalis, Scheler und Derrida zu tun hat, erklärt Osman Hajjar.

Es wird auch ganz praktisch-philosophisch: Wie man es in Literatur und Kulturwissenschaften – ohne Rücksicht auf Verluste – nach der Maxime „Lobst du mich, lob ich dich“ zu etwas bringt, ist das Thema von Vasile V. Poenaru; wie man in Schwaben den kategorischen Imperativ anwendet, wenn dort einer nach der Uhrzeit fragt, erklärt Martin Köhler in seiner Kolume. Kant wird ja auch in der Griechenland- und der Flüchtlingskrise gern zitiert und falsch verstanden. Timotheus Schneidegger weist darauf hin, dass Solidarität mit Flüchtlingen nichts mit Gefühlen, sondern nur mit Vernunft zu tun hat. Zudem wundert er sich anlässlich des Pariser Klimagipfels, warum wir aus uralter und neuerer Naturethik (Platon, Otfried Höffe und Angelica Krebs) noch nicht die überfälligen Schlüsse gezogen haben.

Zur Entspannung beim harten Fragen sind wieder Kleinigkeiten eingeflochten wie Jonis Hartmanns Ode an die Tüte, Johannes Witeks Verdammung televisionärer Hybris und Bdolfs Propädeutikum sowie zwei Miniaturen: Familiäre Amtshilfe im Kinderbettchen und Konflikte der Höflichkeitsformen von Künstlern, Mathematikern, Philosophen und Puffgängern. Das Titelthema beschließt Marc Hieronimus mit Erwägungen zum Fest der Liebe: Mehr davon, bitte! Danke.

 

Im hinteren Heftteil wird es politisch: Mirko Stehr verteidigt die Antideutschen gegen den politphänomenologischen Rundumschlag aus dem letzten Heft. Martin Köhler sieht 25 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung Sartres „Geschlossene Gesellschaft“ auf nationaler Ebene aufgeführt und Vasile V. Poenaru hat die kanadische Amts- und Paradigmenübergabe von Stephen Harper an Justin Trudeau belauscht. Dazwischen finden sich wieder Kurzrezensionen, Aphorismen und Ultrakurzmärchen sowie das Viehlosovieh: Diesmal beschreibt Stefan Rode die Miesmuschel. Aus Rüdiger Spiegels trotzphilosophischem Merkzettelkasten kommen Überlegungen zu Verallgemeinerung und Hirnfunktionen. Frost und Schneidegger haben die „Kritik der reinen Vernunft“ visuell dargestellt, Redaktionspraktikant Filbinger hat für die Reihe „Die unbedeutendsten Denker der Geschichte“ den schrankenlosen Verschränker und Kant-Renegaten Johann Schöller ausgegraben. Michael Helming zuletzt war nicht nur in Rumänien, auch in Sizilien unterwegs, suchte dort nach Spuren von Gorgias von Leontinoi und fand – nichts.

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