Gräber, Heilige und die Menschenwürde

In seinem 568 Seiten starken Buch „Besuch der Gräber“ mit 149 durchgehend farbigen Abbildungen stellt Osman Hajjar den Menschen und seine Würde in den Fokus seiner ethnografischen Feldstudie zur Heiligenverehrung im Sufismus.

Osman Hajjar: Besuch der Gräber. Der sufische Kult um die Würde des Menschen in der Shadhiliyya-Tradition, Taschenbuch, 568 Seiten mit 149 durchgehend farbigen Abbildungen, ISBN 9783941921689, 29,80 Euro, catware.net Verlag 2018.

„Der Tod ist Ursprung und Mitte der Kultur“, sagt der Ägyptologe Jan Assman. In dieser ethnographischen Studie zum Besuch der Gräber folgt der Autor auf seinen Spuren: Er reist zunächst nach Alexandria, zu einem Wallfahrtsort im Nildelta und zu einem Heiligengrab in der Arabischen Wüste, um dort die „lebendigen Pyramiden“ der modernen Ägypter zu besuchen. Sein spiritueller Führer ist ein exzentrischer Sufi, der diese Reise als eine Art Prüfungsroman entwirft. Nach und nach wird dem Lehrling klar, dass die zu erlerndenden Lektionen in der Erfahrung der eigenen Würde bestehen …

Gräber zu besuchen birgt immer die Gefahr, auf die Endlichkeit unserer Existenz zurückgeworfen zu werden. Im Islam gelten Gräber von Heiligen somit als Pforten zu einer Welt menschlicher Idealbilder. Diesen Pfad ächten Salafisten als lästerliche Idolatrie. Hajjar sieht im islamischen Gräberkult nun keine „Götzenverehrung“, sondern eine Performanz der Menschenwürde. Die bis heute offene Frage, was unter Würde zu verstehen sei, beantworte der Kult via Visionen, die sie sinnlich greifbar werden lassen.

Um die Lesenden an diesem spirituellen Abenteuer teilhaben zu lassen, arbeitet sich der Autor zunächst von der Menschenwürde als Verfassungsrecht philosophisch zu ihrer neuplatonischen Fundierung vor. Auf ihr basieren auch sufische Vorstellungen von Heiligkeit, die keineswegs als hehres Ideal gepriesen wird, sondern ein ständiges Infragestellen der eigenen Hagiologie erfordert. Veranschaulicht wird dies mittels einer historischen Skizze der shadhilitischen Reformtradition, in die sich Hajjar durch seine ebenso würdigende wie kritische Randnotiz bewusst einschreibt.

Das Buch ist ab sofort erhältlich direkt beim catware.net Verlag (www.catware.net) oder mit der ISBN 9783941921689 über den regulären Buchhandel.

Über den Autor

Osman Hajjar

Ralf Osman Hajjar studierte Arabistik und Musikethnologie an der Freien Universität Berlin. Hier führte er auch sein Forschungsprojekt im Rahmen des Sonderforschungsbereichs „Ästhetische Erfahrung“ durch. Ursprünglich war eine Verschränkung der beiden Studienfächer geplant, nämlich eine ethnografische Feldforschung in Alexandria zum Thema „Musik und Text in den Zeremonien des Shadhiliyya-Ordens“. Am Zielort zeigte sich jedoch, dass die Gesänge häufig an den Gräbern von Sufiheiligen abgehalten werden und insbesondere dazu dienen, via Vision mit diesen in Verbindung zu treten. Dementsprechend schien es sinnvoll, die Blickrichtung zu korrigieren und den „Besuch der Gräber“ als zentrales Moment der Heiligenverehrung – daher nicht die Musik, sondern den Menschen – in den Fokus des ethnografischen Feldberichts zu rücken. Das Projekt wurde als Promotionsarbeit an der Freien Universität Berlin vorgelegt. Hier übernahm Hajjar zunächst einen Lehrauftrag; zur Zeit unterrichtet er Methodologie am Berliner Institut der Mustafa-Universität in Qom, Iran.

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